+++ Pressemitteilung +++

Faire Asylverfahren statt Ausverkauf rechtsstaatlicher Prinzipien

 

Pressemitteilung, 12.02.2016

 

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte protestieren gegen die geplante weitere rechtswidrige Asylrechtsverschärfung

 

Am 01.02.2016 hat die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vorgelegt, der am 19.02.2016 im Bundestag zur 1. Lesung ansteht. Dieser Entwurf ist neben dem Gesetzentwurf zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten (Algerien, Marokko, Tunesien) Teil des sogenannten Asylpakets II.

Wir protestieren als Anwältinnen und Anwälte auf das Schärfste gegen den aktuellen Gesetzesentwurf und fordern die Abgeordneten auf, dagegen zu stimmen. Seit Jahren und Jahrzehnten bearbeiten wir Mandate im Bereich des Aufenthalts – und Asylrechts. Der Gesetzgeber gibt aber mit dem nunmehr vorgelegten skandalösen Gesetzesentwurf einen Rahmen vor, in dem wir als Anwältinnen und Anwälte nicht mehr die Rechte unserer Mandantinnen und Mandanten vertreten können.
Dieser Gesetzesentwurf stellt einen traurigen Höhepunkt in einer verheerenden Rechtsentwicklung dar und ist endgültig nicht mehr rechtsstaatlich zu verantworten.

 

Fundamentaler Angriff auf die Rechtskultur, massive Entrechtung unserer Mandantinnen und Mandanten

 

Das Asylpaket I vom Herbst letzten Jahres und das nun zur Verabschiedung anstehende Asylpaket II sind ein fundamentaler Angriff auf die Rechtskultur dieses Landes. Anhörungsrechte im parlamentarischen Verfahren werden bis zur Unkenntlichkeit verkürzt. Eine sachliche Auseinandersetzung und Diskussion mit wird unmöglich. Bereits Ende Februar soll das Gesetz verabschiedet werden.
Weder das Asylpaket I noch das Asylpaket II führen zur einer Beschleunigung der Asylverfahren, ihrem angeblichen Hauptzweck. Dabei wäre eine Beschleunigung des Asylverfahren dringend notwendig wäre. Beide Asylpakete beschränken sich im Wesentlichen auf Symbolpolitik. Einer Symbolpolitik, die allerdings verheerende Auswirkungen hat. Das Asylpaket I hatte Ende 2015 die gerade erst 2014 erheblich gelockerte Residenzpflicht wieder massiv ausgeweitet. Es folgte die Wiedereinführung des Sachleistungsprinzips. Beides wird zu unzähligen Rechtsstreitigkeiten führen, von denen wir dachten, dass sie endgültig der Vergangenheit angehören würden. Künftig werden wir jede einzelne Verlassenserlaubnis, jede einzelne Windel und auch jeden Arztbesuch unserer Mandanten per Gericht durchsetzen müssen.
Der aktuelle Gesetzesentwurf verstößt sehenden Auges gegen verbindliche internationale Verträge und gegen höherrangiges europäisches Recht und führt zu massiver Entrechtung unserer Mandantinnen und Mandanten.
Noch zum 1.08.2015 in Kraft getretene Verbesserungen wie z.B. im Familiennachzug, nämlich die überfällige Angleichung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten an den Familiennachzug zu bezüglich Personen, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, werden nun nicht nur rückgängig gemacht, sondern noch massiv verschärft.
Die wesentlichen Inhalte des Gesetzes sind:

 

1. „beschleunigten Asylverfahren“. Für dieses neu eingeführte Verfahren ist eine Prüfungs- Rechtsmittel- und gerichtliche Entscheidungsfrist von jeweils nur einer Woche vorgesehen. Die Anhörungen sollen direkt in der Aufnahmeeinrichtung stattfinden.
Anwaltliche Vertretung wird auf Grund der Kürze der Fristen und vor allem der praktischen Unmöglichkeit die Aufnahmeeinrichtung überhaupt zu verlassen und Anwälte zu kontaktieren, in der Regel nicht gegeben sein. Zugleich werden die Gruppen, die von diesem beschleunigten Verfahren betroffen sind, willkürlich ausgeweitet und betreffen potentiell jeden Flüchtling, egal ob er aus Syrien, Eritrea oder Somalia kommt.
Das BVerfG hat festgestellt, dass das Asylrecht in besonderer Weise ein verfahrensabhängiges Recht ist. Ein entsprechend dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz gestaltetes beschleunigtes Asylverfahren nimmt den Betroffenen ihr Recht auf ein faires und unabhängiges Verfahren und ist zu streichen.

 

2. „Abschiebung trotz erheblicher Gesundheitsgefahren“. Fachärztliche Atteste, die Mandanten vorlegen und die nachvollziehbar an Hand gerichtlich vorgegebener Kriterien schwerste Gesundheitsgefährdungen belegen, sollen per Gesetz unbeachtlich sein u.a. mit der Begründung, sie seien „zu spät“ vorgelegt worden.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat 2015 festgestellt, dass mindestens die Hälfte der Flüchtlinge in Deutschland psychisch krank ist. Meistens leiden sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (40 bis 50 Prozent) oder unter einer Depression (50 Prozent). Beide Erkrankungen kommen häufig gemeinsam vor. Flüchtlinge, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) erkranken, sind oft suizidal. 40 Prozent von ihnen hatten bereits Pläne, sich das Leben zu nehmen oder haben sogar schon versucht, sich zu töten. Auch bei Flüchtlingskindern in Deutschland sind Erkrankungen aufgrund traumatischer Erlebnisse besonders häufig. Jedes fünfte von ihnen ist an einer PTBS erkrankt. In ihrer Stellungnahme stellt die Bundespsychotherapeutenkammer fest: „Die geplanten Regelungen diskriminieren gezielt psychisch kranke Menschen“
Flüchtlinge stehen vor vielen Hürden, bis es ihnen gelingt, die richtigen Ärzte/Therapeuten gefunden und das Sozialamt von einer Kostenübernahme überzeugt zu haben. Anerkannte Therapieeinrichtungen für Flüchtlinge verfügen über lange Wartezeiten. Zusätzliche Fristen im Gesetz einzubauen ist vor diesem Hintergrund perfide.
Die Regelung ist zu streichen, lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen sind stets in fairen Verfahren zu berücksichtigen.

 

3. „Aussetzung Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für zwei Jahre“. Dies entbehrt jeglichen sachlichen Grundes, ist unmenschlich und offensichtlich rechtswidrig. Menschen, die nachweislich wegen Lebensgefahr nicht in ihre Heimat zurückkönnen, wird das Leben mit ihrer Kernfamilie verweigert. Begründet wird dies mit der Begrenzung des Zuzugs. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass es sich hier um reine Symbolpolitik handelt, die für die Betroffenen katastrophale Auswirkungen hat und direkt zu mehr Klagen bei den Verwaltungsgerichten führen wird. 1708 Afghanen hat das Bundesamt 2015 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, 325 haben den subsidiären Schutz erhalten. 14.510 Iraker erhielten die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, 289 den subsidiären Schutzstatus. Insgesamt stehen 137.136 Personen mit Flüchtlingseigenschaft 1707 Personen mit subsidiärem Schutzstatus gegenüber.3 Die Regelung stellt nicht nur keine Asylverfahrensbeschleunigung dar, sie ist integrationspolitischer Unsinn und ein nicht gerechtfertigter Eingriff in Art. 6 des Grundgesetztes, Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der UN-Kinderrechtskonvention.

 

Insgesamt ist der Gesetzesentwurf ein entschieden abzulehnender Versuch, immer mehr Sondervorschriften, Sonderbehandlungen und auch Rechtsausschlüsse für willkürlich gewählte Flüchtlingsgruppen zu etablieren.
Der Ausschuss Ausländer – und Asylrecht des Deutschen Anwaltsvereins hat ausführlich die bestehenden Umsetzungsdefizite in Hinblick auf geltendes europäisches Recht in Deutschland dokumentiert.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die Vorgaben der Asylverfahrensrichtlinie, der Europäischen Grundrechtecharter und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie internationaler Menschenrechtsabkommen einzuhalten und umzusetzen.

 

Dies bedeutet insbesondere:

umgehende Registrierung von Asylanträgen;
menschenwürdige Unterbringung und Zugang zu Sozialleistungen;
effektive Umsetzung der besonderen staatlichen Schutzpflichten für Minderjährige und besonders Schutzbedürftige;
Wir haben uns als Anwälte, unabhängiges Organ der Rechtspflege schon im Dezember 2015 veranlasst gesehen, eine Kundgebung vor der SPD Zentrale am Oberanger in München abzuhalten.
Wir haben für unsere Aktion breite Unterstützung erhalten, insbesondere von verschiedenen Therapeuten- und Ärzteorganisationen, IppNW, Refugio München e.V., Pro Asyl u.a.

 

Wir, die KJ* der FU Berlin unterstützen die Aktion „Jurist*Innen gegen Asylrechtsverschärfung“

1. geplante Aktion:

Donnerstag, den 18. Februar 2016
um 13 Uhr
vor dem Verwaltungsgericht in der Kirchstraße
(in Moabit, S-Bhf. Bellevue, U-Bhf. Turmstraße)