Politische Justiz in Deutschland 1917-1935: Der Fall Werner Scholem

Veranstaltung der Kritischen Jurist_innen am 28. Januar 2015, 20.00 Uhr in den Räumen des Akazie e.V., Friedelstr. 54scholem

 

Werner Scholem, geboren 1895 in Berlin, hatte als junger Sozialist im Kaiserreich seinen ersten Kontakt mit der Justiz: an „Kaisers Geburtstag“ demonstrierte er in Uniform gegen den Weltkrieg, entging knapp einer Verurteilung wegen Landesverrat, verbrachte jedoch wegen „Majestätsbeleidigung“ 10 Monate in Haft. Die Erfahrung prägte sein Leben. Er trat 1920 zur KPD über und von nun an blieb die „Politische Abteilung Ia“ der Berliner Polizei eine ständige Begleitung in Scholems Leben: Als Redakteur der „Roten Fahne“ musste er sich 1921 wegen eines Zeitungsartikels einem Verfahren wegen Hoch- und Landesverrat stellen, flüchtete ins Ausland und wurde schließlich wegen Mangel an Beweisen freigesprochen. Im Jahr 1924 kam ein weiteres Hochverratsverfahren hinzu, dass 1928 nur durch eine Generalamnestie niedergeschlagen wurde. Scholems letzter Prozess folgte 1935 vor dem NS-Volksgerichtshof, ebenfalls ein Hochverratsprozess. Dieser endete mit einer Überraschung: Freispruch! Dennoch verbrachte Scholem den Rest seines Lebens als „Schutzhäftling“ im KZ, wo er 1940 ermordet wurde.

Seine Biographie zeigt wie kaum eine andere Kontinuitäten und Brüche in der politischen Justiz zwischen 1917 und 1935. Scholems Leben verkörpert gleichzeitig die Widersprüche einer Generation radikaler Intellektueller: Aufgewachsen in einer Berliner jüdischen Familie startete er mit seinem Bruder Gershom eine Revolte gegen den autoritären Vater und den Chauvinismus des Ersten Weltkrieges. Werner und Gershom diskutierten über Zionismus oder Sozialismus, Auswanderung nach Palästina oder Klassenkampf in Deutschland. Während Gershom Scholem nach Jerusalem übersiedelte, sah Werner im Kampf der radikalen Arbeiterbewegung die Möglichkeit eines «anderen Deutschland» ohne Ausbeutung und Antisemitismus. Scholem ging zur KPD und schloss sich dem entstehenden «ultralinken» Flügel der KPD an. Aufgestiegen zum Organisationsleiter «bolschewisierte» Scholem die Partei, um sie zur Avantgarde einer kommenden Revolution zu formen. Er und seine Mitstreiter scheiterten jedoch an den Widersprüchen ihrer Rolle als Revolutionäre in einer nichtrevolutionären Zeit. Nun übernahmen andere: Scholem wurde 1926 als erbitterter Gegner Stalins aus der Partei geworfen.

 

Ralf Hoffrogge, Autor von „Werner Scholem – eine politische Biographie“ (UVK Verlag 2014) stellt sein Buch zur Diskussion und widmet sich besonders den Fragen der Kontinuität politischer Justiz vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in die Anfänge des NS-Regimes.

 

Als Einleitung zeigen wir den 20-minütigen Dokumentarfilm „Von der Utopie zur Gegenrevolution“ von Niels Bolbrinker, der unter anderem ein Interview von Scholems Tochter Renee Goddard aus dem Jahr 2011 enthält.