VG Münster äußert Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Einstufung Serbiens als
sicheren Herkunftsstaat
Das Verwaltungsgericht (VG) Münster hat am 27. November 2014 im Zusammenhang mit
dem am 6.11.2014 in Kraft getretenen Bundesgesetz vom 31. Oktober 2014, das unter
anderem Serbien als sogenannten sicheren Herkunftsstaat eingestuft hat und dessen
Verhinderung durch die politischen Entscheidungsträger_innen im Bundesrat wir per
Pressemitteilung vom 21.08.2014 [1] gefordert hatten, dem Eilantrag einer asylsuchenden
serbischen Familie stattgegeben.
Die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Androhung ihrer Abschiebung angeordnet,
da Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bestehen, die im Eilverfahren nicht
ausgeräumt werden konnten.[2]
Bei der heute in Münster wohnhaften, serbischen Familie handelt es sich um Angehörige der
„Volksgruppe“ der Roma, deren Antrag auf Anerkennung des Asylstatus vom Juli 2014 im
Oktober 2014 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit einer
Abschiebungsandrohung auf Grund des neuen Gesetzes als offensichtlich unbegründet gem. §
29a Abs. 1 AsylVfG i.S.d. Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG abgelehnt wurde.
Laut VG Münster sei es weder erkennbar, ob der Gesetzgeber (I) die gesetzlichen Regelungen
und deren Anwendung in Serbien hinreichend berücksichtigt hat, noch, dass er (II) die
Entscheidungspraxis der deutschen Verwaltungsgerichte in die Gesetzesbegründung
einbezogen hat.
Im anhängigen Klageverfahren soll geklärt werden, ob das Gesetz wegen Zweifeln an seiner
Verfassungsmäßigkeit dem Bundesverfassungsgericht im Rahmen der konkreten
Normenkontrolle gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vorgelegt wird.
(I) Die Zweifel begründen sich vor allem auf der im Gesetzgebungsverfahren nicht
hinreichenden Betrachtung der geänderten serbischen Ausreisebestimmungen, die die
Ausreise mit der Absicht, Asyl zu beantragen, unter bestimmten Umständen unter Strafe
stellt [3], und ihrer Anwendung, insbesondere auf „Volkszugehörige“ der Roma.
Diese Ausreisebeschränkungen werden in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt, obwohl
Ausführungen über ihre Problematik dem Innenausschuss des Bundestages im
Gesetzgebungsverfahren bereits im Juni 2014 vorlagen. Zudem könne das Auswärtige Amt
„weder eine verbindliche Aussage dazu treffen, mit welcher Absicht die aktuellen serbischen
Ausreisebeschränkungen beschlossen worden sind, noch wie diese Bestimmungen zur
Anwendung gelangen“.
(II) Der Gesetzgeber kann „zur Abrundung und Kontrolle des gefundenen Ergebnisses“ im
Gesetzgebungsverfahren außerdem die Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) sowie der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte bzgl. der
Anerkennung von Asylbewerber_innen aus dem jeweiligen Land heranziehen. Allerdings
haben die Regierungsfraktionen laut Gesetzesbegründung lediglich die Anerkennungsquoten
des der Regierung selbst unterstehenden BAMF berücksichtigt, die Entscheidungspraxis der
Verwaltungsgerichte jedoch vernachlässigt.
Zudem hat Dr. Manfred Schmidt, Präsident des BAMF, den Innenausschuss des Bundestages
offensichtlich über die Entscheidungspraxis getäuscht, indem er von einer „Sonderrolle“ des
VG Stuttgart sprach, das zwei Asylklagen entsprochen habe. Nach telefonisch eingeholter
Auskunft der entscheidenden Kammer handelt es sich aber um mehrere erfolgreiche Klagen.
Zusätzlich verschwieg er, dass bereits im Mai 2014 eine Beweisaufnahme zur Situation unter
anderem der Roma in Serbien beschlossen worden war und diese noch nicht abgeschlossen
ist.
Wir sind erleichtert über den Beschluss des VG Münster, der die von uns schon angemahnte
mangelhafte Auseinandersetzung der Bundesregierung mit der tatsächlichen Situation der
Roma in Serbien rügt. Dass dem Innenausschuss vorliegende Informationen, die der
Erklärung Serbiens zu einem sog. sicheren Herkunftsland widersprechen, in der
Gesetzesbegründung nicht berücksichtigt wurden, zeugt von der immer wieder zu Tage
tretenden Willkür der Bundesregierung bei der Bewertung von Menschenrechtsfragen, die in
diesem Fall insbesondere darauf abzielt, den latenten bis offenen Rassismus in der deutschen
Gesellschaft, v.a. ihrer Stammwählerschaft, zu bedienen.
Die dreiste, aber offensichtlich willkommene Täuschung des Innenausschusses durch den
Präsidenten des BAMF schließt zudem nicht aus, dass auch dieses Interesse an erleichterten
Abschiebebedingungen hat und nicht um eine objektive Bewertung insbesondere der
Menschenrechtslage der Roma in Serbien bemüht ist. Darüber hinaus stellt die Aussage des
Auswärtigen Amtes über mangelnde Kenntnisse von für Asylfragen wichtigen serbischen
Gesetzen und ihrer Anwendung dessen Kompetenz in Frage.
Wir fordern deshalb von der Bundesregierung, es nicht auf eine mögliche Entscheidung aus
Karlsruhe ankommen zu lassen, sondern das Gesetz zur Einstufung Serbiens, Mazedoniens
und Bosnien-Herzegowinas als sichere Herkunftsstaaten rückgängig zu machen und in
Zukunft eine menschenfreundliche Asylpolitik zu betreiben, die unserer Geschichte und den
Verpflichtungen, die unser wirtschaftlicher Wohlstand mit sich bringt, gerecht werden.
1 http://www.rechtskritik.de/
2 Az.: 4 L 867/14.A – rechtskräftig;
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_muenster/j2014/4_L_867_14_A_Beschluss_20141127.html
3 www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/Serbien_kein_sicherer_Herkunftsstaat.pdf
Kristina Tiek,
Sprecherin der Kritischen Jurist*innen an der FU Berlin