Pressemitteilung zu sog. „Sicheren Drittstaaten“

Pressemitteilung der Kritischen Jurist*innen und des Refugee Unistreik an der FU Berlin

Studierende fordern Abgeordnete auf, Verantwortung zu übernehmen

Berlin, den 21.08.2014

In einer gemeinsamen Stellungnahme forderten am 21.08.2014 die Kritischen Jurist*innen und der Refugee Unistreik an der Freien Universität Berlin politische Entscheidungsträger_innen der Länderparlamente auf, sich in der anstehenden Abstimmung im Bundesrat über die Verschärfung des Asylrechts der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst zu sein und angesichts der dürftigen Gesetzesbegründung der Bundesregierung Verantwortung zu übernehmen und das Gesetz (in letzter Instanz) zu verhindern.

Hintergrund ist die am 19. September anstehende Abstimmung im Bundesrat über einen vor der Sommerpause im Bundestag per Eilverfahren verabschiedeten Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Dieser sieht unter anderem vor, Bosnien und Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu sogenannten „Sicheren Herkunftsstaaten“ im Sinne des Art. 16a Abs. III GG zu erklären. Mit dieser Erklärung geht für die betroffenen Antragssteller_innen eine erhebliche Einschränkung des Grundrechts auf Asyl einher: Für ihre Anträge wird vermutet, dass sie in den jeweiligen Herkunftsstaaten weder politischer Verfolgung noch unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung ausgesetzt sind. Diese Vermutung hat automatisch eine Ablehnung des Antrags als „offensichtlich unbegründet“ zur Folge, wenn es den Asylsuchenden nicht gelingt, sie mit eigens beizubringenden Beweisen zu widerlegen. Angesichts der kurzen Fristen zur Beweiserhebung dürfte dies Menschen auf der Flucht, die oftmals mit traumatischen Erlebnissen verbunden ist, die kaum Erfahrung mit den Verfahrensvorgängen oder gar juristischen Beistand haben, nur in den seltensten Fällen gelingen.

Aufgrund der drastischen Auswirkungen auf das Grundrecht auf Asyl, die eine solche Einstufung als „Sichere Herkunftsstaaten“ hat, ist die Gesetzgebung hierbei zu besonderer Sorgfalt verpflichtet. Dieser Sorgfaltspflicht wird die Begründung, die die Bundesregierung für ihr Gesetzesvorhaben liefert, aber bei weitem nicht gerecht. Dies betrifft zunächst die Methodik: Die Bundesregierung begnügt sich mit einer äußerst knappen Darstellung der Menschenrechtslage in den betroffenen Ländern und stützt sich dabei in stark selektiver Art und Weise auf nur wenige Berichte regierungsnaher Institutionen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist – trotz gegenteiliger Beteuerungen – nicht erkennbar. So stellt Kristina Tiek, Sprecherin der Kritischen Jurist*innen, fest: „Die Bundesregierung ignoriert eine Fülle an verfügbaren Berichten, die sich teilweise sehr umfangreich und differenziert mit der Menschenrechtslage in den jeweiligen Ländern auseinander gesetzt haben.

Den inhaltlichen Schwerpunkt der Gesetzesbegründung bildet die Untersuchung der Rechtslage der jeweiligen Länder und die Frage, ob dort staatliche Verfolgung oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vorliegen. Außen vor bleibt dabei einerseits eine Auseinandersetzung mit nicht-staatlicher Verfolgung, deren Verhinderung ebenso zum staatlichen Schutzauftrag gehört und folglich Verfolgung begründen kann. Andererseits genügt die der Begründung zugrunde gelegte Verfolgungsdefinition weder den europa- noch nationalrechtlichen und Rechtsprechungsvorgaben. Die Frage nach der Rechtsanwendung, nach den Möglichkeiten zur Durchsetzung gerade von Minderheitenrechten wird zwar von der Bundesregierung gestellt, eine Auseinandersetzung ist aber auch hier nicht ausreichend feststellbar: An vielen Stellen erfolgt lediglich ein Verweis auf die Unterzeichnung völkerrechtlicher Verträge zum Schutz der Menschenrechte aber kein Wort zu ihrer effektiven Umsetzung. Auch ist nicht nachvollziehbar, wie die lückenhaft ermittelten Erkenntnisse schließlich in der Bewertung der Sicherheitslage berücksichtigt werden.

Nach ausführlicher Beschäftigung mit dem zur Verfügung stehenden Material, kommen die Kritischen Jurist*innen und der Refugee Unistreik an der Freien Universität Berlin zu einer anderen Einschätzung als die Bundesregierung: Aufgrund der Fülle gesellschaftlicher Ausschlüsse und Diskriminierungen, dem mangelhaften Schutz vor verbalen und physischen Attacken, akuter Armut und Benachteiligung, vor allem von Angehörigen von Minderheiten in allen drei Ländern können sowohl (kumulative) Verfolgungssituationen als auch unmenschliche Behandlungen oder Bestrafungen nicht ausgeschlossen werden. Bei der Einschätzung der Menschenrechtssituation in allen drei Ländern wird deutlich, dass es der Bundesregierung an einer fundierten Auseinandersetzung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben mangelt, was vorliegend zu einer Einschränkung des Schutzstandards vor allem für Menschen der Rom_nija-Minderheit und der LGBT-Community führt.

Was sich an dem kritisierten Gesetzesvorhaben zeigt ist einerseits, dass der Gesetzgeber den ihm eingeräumten Handlungsspielraum in Fragen der Auswahl und Wertung der Entscheidungsgrundlagen durch methodische und inhaltliche Mängel überschritten hat. Andererseits wird die Gefahr deutlich, die von einer pauschalen Bestimmung von Staaten als „sicher“ ausgeht, insbesondere für strukturell diskriminierte Minderheiten, die bei einer solchen Pauschalisierung ignoriert werden, aber auch für den grundgesetzlichen Asylstandard. Angesichts der Bedeutung des Grundrechts auf Asyl und der historischen Verantwortung Deutschlands, vor allem gegenüber Minderheiten, fordern die beiden Hochschulgruppen daher die zuständigen Entscheidungsträger_innen im Bundesrat auf, das Gesetzesvorhaben zu stoppen und sich für die Wahrung des Asylrechts einzusetzen.