Prozessbeobachtung – Knast für Plakatieren

Die Berliner Staatsanwaltschaft führt drei linke Plakatierer vor Gericht. Die Repressalie gegen die drei Aktivisten begann mit einer Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen fehlendem ViSdPs und gipfelt nun in der Anklage auf Aufforderungen durch Straftaten. Der erste Prozesstag fand am Donnerstag, dem 25. April, im Amtsgericht Berlin statt. Weitere Termine folgen zu diesem auch rechtspolitisch interessanten Verfahren.

 

Verhandlungen am ersten Prozesstag Am 25. April 2013 lud das Amtsgericht Berlin drei Berliner-Aktivisten als Angeklagte in einem Strafverfahren vor. Die Anklageschrift bezichtigt die Drei mit dem Anbringen der Plakate:
– „Gentrification? – Werte deinen Kiez ab.“ (directactionde)
– „Hass auf Bullen? Komm mit uns!“ (directactionde)
– „Kein Geld? – Geh plündern!“ (directactionde)
in Verbindung mit:
– „M31 european action day“ zum 31. März 2012, Europa
– Polizeikongressprotest zum 28. Januar 2012, Berlin
bei den jeweiligen Proteste für die dort stattgefunden Strafhandlungen ursächlich zu sein, sowie – noch nachrangig – der allgemeine Aufruf zu Straftaten ohne Erfolgseintritt. Die Berliner Staatsanwaltschaft fordert zur Strafe Bußgelder bis hinzu einem einjährigen Freiheitsentzug.

Die Strafverteidigung hielt ein Anfangsplädoyer über die rechtsgeschichtlichen und rechtspolitischen Aspekte des §111 Aufforderung zu Straftaten.(2) Die Angeklagten selbst äußerten sich nicht zu den Tatvorwürfen.

 

Danach wurden zu den beiden zeitlich auseinander liegenden Tathandlungen die beweihräuchernden Polizeikräfte befragt. Am 24.01.2012 wurden zwei der drei Angeklagten von einer Streife in zivil (zwei dienstausführende Beamte und eine Polizeipraktikantin) während des Vorbeifahrens beim Plakatieren ertappt. Es wurden die Plaktierermaterialien polizeilich beschlagnahmt und umliegend von wild verklebten Postern Photographien genommen. Bei der Personalienfeststellung befolgten die Staatsdiener den Registervermerk der angetroffenen Personen und landeten prompt bei der Sonderabteilung des Landeskriminalamtes (LKA) dem Berliner Staatsschutz. Im weiteren Telefongespräch mit dem Bereitschaftsdienst des LKAs wurde den Straßenpolizisten eine Ordnungswidrigkeitenanzeige diktiert. So die Aussage der Polizist_innen.

 

Jenseits dessen, dass die Aussage der Beamt_innen sich in einigen Teilen widersprochen, war hierbei der vage Anfangsverdacht, die Dienstranghörigkeit zum LKA und letztlich das Hängelassen der Plakate interessant.

 

Der Grund für das Einschreiten der Polizist_innen wurde jeweils unterschiedlich gewichtet. Ein Beamter wähnt sich an ein Polizeiinternen Rundbrief, der die directactionde-Plakate als bemerkenswert führt, zu erinnern. Der Andere fühlte sich vom wilden Plakatieren gestört. Auch wurden die Plakate trotz vermeintlichen strafbaren Charakters nicht entfernt, so ist ebenso die Feststellung, dass die Plakate frisch verklebt wurden, lediglich über die Aussage eines Polizisten dargestellt.

Bei der zweiten vorgeworfenen Tat waren die befragten Polizeizeugen aussagekräftiger. Am 1. März 2013 wurden von einem Streife laufenden Zivilbeamten verklebte Plakate (directaction und m31) festgestellt, in ungefähr gleichem Zeitrahmen beobachteten zwei weitere Zivilstreifen die drei Angeklagten beim Plakatieren und verfolgte die Personen. Um sie einige Zeit später vorläufig festzunehmen, Beweise zu sichern und Personalienfeststellung zu treffen. Auch hier wurde der Staatsschutz kontaktiert. Die vorläufige Anzeige war erneut nur die Ordnungswidrigkeit. Nach der Maßnahme wurden diesmal aber die aufgehangenen Plakate entfernt.

Nach der gerichtlichen Befragung der geladenen und erschienen Polizeizeugen, wurden die Plakate in Augenschein genommen. Die Strafverteidigung merkte dazu an, dass das M31 Plakat allgemein einen Krisenprotesttag in ganz Europa fordert und die Stadt Frankfurt gar nicht erwähnt wird und beim Polizeikongressposter ausschließlich Polizeieinsätze dargestellt werden.

Letztlich wurde noch, trotz Einspruchs der Strafverteidigung, ein Artikel der Frankfurter Rundschau (3) teilweise verlesen. Gegen das Vortragen der Polizeipressemitteilungen und eines Artikels des Berliner Tagesspiegels wurde auch Einspruch erhoben, so dass diese zumindest nicht am ersten Prozesstag als Beweis aufgenommen wurden.

 

Mit zwei kurzen Unterbrechungen neigte sich der Verhandlungstag nach fünf Stunden dem Ende. Die Strafverteidigung beantragte die Ladung diverser Zeugen
– Oberstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, zur Aussage über die Geschehnisse am 31. März
-LKA Berlin Staatsschutz, zu den Anrufen durch die im Einsatz befindlichen Polizisten
– Beamtin des Berliner Verfassungsschutz, zur Mobilisierung der Linksradikalen in Berlin
– Soziologisches Gutachten, zur Mobilisierungs- und Kommunikationspotenzial von Plakaten
– Psychologische Gutachten, zur Mobilisierungs- und Kommunikationspotenzial von Plakaten,
sowie ein Titelblatt des Berliner Kurier, dessen Leitsatz unverblümt zur Gewalt gegen den Burschenschaftler Senator Büge der deutsch-nationalen „Gothia“-Verbindung aufruft.

Inwiefern die vorsitzende Richterin über die Anträge entscheidet ist noch ungewiss. Zumindest ist auf der gerichtlichen Ladung zum zweiten Prozesstermin neben den Beklagten auch eine Mitarbeiterin des Berliner Amtes für Verfassungsschutz geladen.

 

Gesondertes Interesse besteht bei diesem Prozess daran, inwiefern die Ereignisse vom 28. Januar und 31. März 2012 überhaupt durch die Plakatierer beeinflusst wurden, ob ein Plakat und im speziellen die Verklebten zu Straftaten auffordern können und damit inwieweit letztlich die politische Meinungsäußerung staatlich beschränkt werden kann. Ob Plakat, Sticker, Flyer oder Singsang zukünftig strafrechtlichen Kriterien standhalten muss.

Der nächste Termin findet am Dienstag, den 14. Mai 2013 um 13.30 Uhr voraussichtlich in der Turmstraße 91 im Raum 456 statt. Bittet achtet auf kurzfristige Raumänderungen, informiert euch!

(1) Angabe des Presseproduktsverantworlichen, Abk. Verantwortlicher im Sinne des Presserechts (2) Vollständige Plädoyer im Anhang (3) http://www.fr-online.de/frankfurt/anti-kapitalismus-demonstration–polizist-bei-krawallen-schwer-verletzt,1472798,14580942.html (Abruf 7. Mai 2013)

Anhang: Statement von RA Schulz und RA Dr. Luczak:

Mit dem in der Anklage vorgeworfenen Verhalten soll eine Gesinnung und kein konkretes Unrecht verfolgt werden. Die Vorschrift, die hier zur Anwendung kommen soll, ist Gesinnungsstrafrecht ohne substantiellen Unrechtskern. Dies ist keine Erfindung der Verteidigung, sondern der juristischen Kommentarliteratur entnommen.

Die Gesinnung zu bestrafen, steht in einer langen Strafverfolgungstradition. Einer der bekanntesten Fälle ist die Verurteilung Rosa Luxemburgs wegen eines Aufrufs bei einer Kundgebung vor dem 1. Weltkrieg im Jahr 1913: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffen gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: ,Nein, das tun wir nicht!“ Der Bogen spannt sich bei der Verfolgung von antimilitaristischen Äußerungen über Strafverfahren in den 60er Jahren wegen Aufrufen während des Vietnam-Kriegs an amerikanische Nato-Soldaten zur Fahnenflucht bis in die 90er Jahre, als eine Vielzahl von Strafverfahren wegen Aufrufen zu Befehlsverweigerung während des 1. Golfkriegs 1990 und im Kosovo-Konflikts 1999 eingeleitet wurden. Der Strafverfolgung ausgesetzt waren aber neben den Anti-Militarist/innen auch Personen, die sich in anderen politische Themenfeldern betätigen und sich dazu äußern: so waren eine Prozesserklärung von RAF-Gefangenen im Stamm-Prozess Anfang und Aufrufe zum Boykott der Volkszählung Ende der 80er Jahre Thema vor Gerichten. Aktueller, im Jahr 2007 waren auch Umweltaktivist/innen im Fokus der Strafverfolgungsbehörden.

Auch wenn die meisten der genannten Verfahren mit Freisprüchen endeten, ist deutlich: Die Regelung dient vor allem der politischen Disziplinierung.

Es erstaunt daher nicht, dass in den von einem Sicherheitsdiskurs geprägten 70er Jahren die Disziplinierung sogar noch ausgeweitet werden sollte. Dafür wurde eine gesonderte Vorschrift eingeführt, nach der schon die reine Befürwortung von bestimmten Straftaten strafbar sein sollte. Dieser § 88a StGB wurde allerdings nach genau einem Anwendungsfall  und fünf Jahren bereits wieder aufgehoben.

Die Zahl der Anwendungsfälle ist auch in Bezug auf das hier verfolgte „öffentliche Auffordern zu Straftaten“ nicht anders als marginal zu bezeichnen. Die polizeiliche Kriminalstatistik weist aus unbekannten Gründen zwar keine gesonderten Zahlen dazu aus, aber die Strafverfolgungsstatistik spricht eine klare Sprache: von 2001-2010 gab es ca. 10 Verurteilungen pro Jahr.

Was wird hier verfolgt? Was ist der Zweck, der offenbar nur in sehr speziellen Fällen relevanten Vorschrift?

Es handelt sich um ein so genanntes Gefährdungsdelikt. Die Strafbarkeit wird weit vor die Begehung einer konkreten deliktischen Handlung verlagert, wie sie die Straftatbestände des besonderen Teils des StGB sonst vorsehen. Diese Tat stellt daher eine vorrechtliche Beteiligungstypik dar.

Wenn man von der Notwendigkeit der so selten angewandten Regelung überzeugt wäre, müsste sie deshalb rechtstheoretisch – wie es auch früher war – im allgemeinen Tel des Strafgesetzbuchs bei der Anstiftung geregelt werden – und natürluch mit klaren Bedingungen ausgestattet werden. Tatsächlich ist es doch so, dass die Aufforderungen sich von der Anstiftung nur dadurch unterscheidet, dass statt einer konkreten Person ein unüberschaubarer Personenkreis angeprochen wird.

Die dadurch entstehenden Probleme – die wir auch hier haben werden „welche Person ist wozu aufgefordert worden“ werden rechtstheoretisch damit begründet, dass das Minus in der Konkretisierung durch die Unbeherrschbarkeit der Folgen kompensiert wird. So wird in der Literatur § 111 StGB damit gerechtfertigt, dass der Aufrufende angesichts der Rätsel und Gefahren der Massenpsychologie Instinkte weckt, deren Auswirkungen er nicht zu übersehen vermag.

Literatur und Rechtsprechung tun sich schwer, eine angemessene Bewertung vorzunehmen, da auch in der juristischen Welt die grundlegende Selbstbestimmungsfähigkeit und das Urteilsvermögen des je einzelnen anerkannt sind, die es nahe legen, an der Gefährlichkeit einer fremden unpersönlichen Aufforderung Zweifel zu hegen (Zitat: Beck, Wolfgang: Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung: zum Problem der Unrechtsbegründung im Bereich vorverlegter Strafbarkeit).

Widmen wir uns also nun den Rätsel und Gefahren dieses Verfahrens.